SCHNUPFEN IM KOPF von Gamma Bak (D/HU 2010)

Körper-/Wahn-/Sinn?

Wie ein orientalischer Frauenakt. Der grüne Samt der Chaiselongue, die weiße Haut, die liegende Pose. Die Kamera fährt langsam den nackten Körper ab, von links nach rechts, in Leserichtung. Über das Grün des Samts hinweg, am weißen Tüll und den Füßen vorbei, die Beine entlang, die, wässrig und schwer, übereinander liegen, streift sie das Dreieck der blonden Scham, eingeklemmt zwischen Beinen und Bauch, um sodann die Wölbung der Hüfte, die weichen Brüste, das Achselhaar und die runden Arme abzufahren. Als der Bildausschnitt am Kopf der Frau angelangt ist, schaut diese ungerührt in die Kamera. Kein (unsicheres) Lächeln, keine (überflüssige) Koketterie. Ihr Blick scheint nichts verstecken, nichts beschönen oder verschieben zu wollen. Der Fokus bleibt auf dem Körper; die Frau verharrt in der halbseitlich liegenden Pose, während sie in die Kamera blickt. Wie ein orientalischer Frauenakt. Doch eben auch irgendwie nur wie.

Gamma Bak präsentiert sich der Kamera. Schonungslos. Nackt. Wie von Gott geschaffen? Oder medikamentengemacht? In Selbstinterviews, Gesprächen und durch Videobriefe von Verwandten und Freunden beleuchtet die Regisseurin ihre Krankheit, psychotische Schizophrenie, wie eine der Diagnosen heißt, und dokumentiert ihr Ringen mit den Schüben und Krisen, ihren Kampf für ein selbstbestimmtes Leben, gegen die Stigmatisierungen der Krankheit. Die Stärke dieser intimen Erkundung liegt in der aufmerksamen Selbstreflexion, die, als offene Langzeitstudie angelegt, auf DV-Material aus den letzen 8 Jahren ihrer Krankheitsgeschichte basierend und mit Ausschnitten aus früheren Filmen und Videotagebüchern der Regisseurin versetzt, immer neue Einblicke in die Wege und Wendungen der Krankheit und ihres Lebens damit freilegt.

»In den ersten zwei Monaten nachdem ich angefangen habe die Medikamente regelmäßig zu nehmen, d.h. nach der letzten großen Krise, das war Weihnachten 1998, habe ich 20 kg zugenommen. Das heißt ich habe die letzten 5 Jahre in einem mir fremden Körper gelebt. Einem Körper, den ich nicht zu lieben gelernt habe. (Pause) Und dabei würde ich von meiner politischen Einstellung her sagen, es ist total egal, ob dick oder dünn. Ich lasse mich doch nicht von der Modeindustrie oder von Fitneßmagazinen diktieren, wie ich als Frau auszusehen habe.« Und trotzdem wäre sie froh, wenn sie durch das Absetzen der Medikamente wieder dünner würde, gesteht Gamma Bak der Kamera in einem ihrer Selbstinterviews. »Sagen wir, es wäre ein schöner Nebeneffekt. (Pause) Oder ist es der Grund, warum ich die Medikamente absetzen will? (Pause) Oder ist diese Frage allein schon wieder psychotisch?«

Schwankend zwischen klarsichtiger Selbstbeobachtung und Angst vor der nächsten Psychose reflektiert Gamma Bak nicht nur die Grenzen und Schwellen zwischen »krank« und »gesund«, sondern auch die gesellschaftlichen Implikationen davon. Über Jahre hinweg setzt sie sich dazu immer wieder dem Blick der Kamera aus. Und behält doch die Macht über ihr eigenes Bild. Sie selbst ist die Regisseurin dieses intimen Portraits, sie inszeniert die Bilder, portraitiert ihren Kampf gegen die Krankheit oder mit ihrem Leben damit. Ihr Gesicht, ihr Körper, ihre Gedanken. Ihre Angst und ihr Krankheitsprotokoll. Wenn auch nicht selbstbestimmt, so zumindest doch selbstinszeniert. In eben dem Maße wie die Kamera das Bild ihres Körpers exponiert, in eben dem Maße gewinnt sie es durch den Film zurück. Gamma Bak hat es geschafft. Der Film ist auch das Zeugnis ihres Anspruchs, sich trotz ihrer psychotischen Phasen nicht in die Isolation der Privatheit zurückzuziehen, sondern weiter Filme zu machen und kreativ tätig zu sein. Über die Fallstudie hinaus stößt Schnupfen im Kopf damit das Nachdenken über »psychotische Erkrankungen« und den gesellschaftlichen Umgang mit solchen an.

txt: sarah sander

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